Die dritte Wiederkunft
Erstellt am:
Es hat eine zweite Wiederkunft Jesu gegeben, doch wir haben sie verpaßt.
Jenseits des Erwarteten – Vom Ausbleiben des Erkannten
Es wird berichtet, ein zweites Kommen habe stattgefunden. Doch die Welt nahm es nicht wahr.

Die Erwartung war geprägt von Bildern der Überwältigung: ein Himmel, der sich öffnet; ein Klang, der die Zeit durchdringt; ein Licht, das alles Irdische durchbricht. Doch das Ereignis war von anderer Natur. Es war leise, unscheinbar – ein Schritt unter vielen auf staubigen Wegen, ein Gesicht unter Gesichtern, ein Wort im Strom unzähliger Worte. Wie einst auf dem Weg nach Emmaus begegnete er den Seinen – und blieb unerkannt.
Er betrat die Räume des Glaubens und doch fand die Türen verschlossen durch endlose Rechtfertigungsstreitigkeiten um Lehre und Legitimation. Er suchte Gemeinschaft mit denen, die sich auf seinen Namen beriefen, und stieß jedoch auf Zäune, die nicht Schutz, sondern Trennung bedeuteten – zwischen politischen Lagern und Konfessionen, zwischen Völkern und Denkschulen.
Er stand vor den Toren moderner Heiligtümer – prächtigen Gotteshäusern, stimmungsvoll inszenierten Veranstaltungen, auch politischen Bühnen mit religiösem Vokabular – und begegnete einer Lobpreiskultur, die ihn befremdete, weil sie mehr auf Täuschung als auf Wahrheit bedacht. Doch der Zugang blieb ihm verwehrt.
Was er sah, war ein zerrissener Glaube: eine Gemeinschaft, die sich in der Bewahrung ihrer Deutungshoheit verlor, statt in der Praxis von Mitmenschlichkeit zu wachsen; eine Welt, die sich auf Anhäufung und Abgrenzung konzentrierte, während die Erde selbst unter der Last menschlicher Ignoranz ächzte. Die Armen bleiben bedürftig, die Besitzenden unbeweglich, die Mahnenden bleiben ungehört.
Er ging durch Straßen, in denen Menschen ohne Obdach auf ein freundliches Wort hofften, das selten gesprochen wurde. Er ging durch Palästina und sah die Vertreibung, das Schweigen der Welt und die bewußte Verdrängung. Er sah in Gaza das Leiden, die Zerstörung, das Sterben – einen Völkermord vor den Augen der Weltöffentlichkeit, finanziert, getragen, geduldet vom reichen Westen. Er besuchte Orte des Krieges und der Flucht, er ging durch Sudan, Demokratische Republik Kongo, Xinjiang, Nicaragua, durch die ganze Welt und sah, wie Menschenleben auf dem Altar wirtschaftlicher und ideologischer Interessen geopfert werden. Er hörte die Klagen der Leidenden – und wunderte sich über das Schweigen derer, die ihn zu vertreten glaubten.
Und so zog er sich zurück.
Nicht aus Groll, nicht aus Verurteilung, sondern aus Trauer. Wie einst über Jerusalem, so weinte er über das, was der Menschheit geworden war – und was sie sein könnte.
Er erkannte: Die Zeit war noch nicht reif.
Aber er wandte sich nicht ab.
Ein drittes Kommen wird kommen – kein Spektakel, kein Machtakt, sondern ein Ruf an die, die sehen können, was nicht offensichtlich ist. Nicht die Blicke, die auf den Horizont gerichtet sind, werden ihn erkennen, sondern die, die in den Gesichtern der Vergessenen sein Bild erkennen.
Er wird sich zeigen, wo die Liebe lebendig bleibt, wo Gerechtigkeit nicht nur gepredigt, sondern gesucht wird, wo Barmherzigkeit nicht rationiert, sondern geschenkt wird, wo Gewaltfreiheit gelebt wird. Er wird bei denen ankommen, die Fremde aufnehmen, Ausgestoßene schützen, Zerbrochenes zu heilen versuchen.
Wenn er wiederkommt – werden wir bereit sein, ihn zu erkennen?