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Die Zumutung von Weihnachten

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Die Erzählungen von Jesu Geburt zeigen, dass Gott die Welt anders sieht als wir

„Mama, kurz vor Weihnachten bekomme ich immer ein warmes Gefühl.“ Meine Tochter versuchte zu erklären, warum sie diese Zeit so sehr liebt. Damit beschreibt sie ziemlich genau, was Weihnachten für viele Menschen bedeutet: schöne Erinnerungen, vertraute Rituale und freudige Erwartungen.

Liest man jedoch die biblischen Texte, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Das biblische Weihnachten ist keine harmlose Wohlfühlgeschichte. Es ist eine Geschichte voller Zumutungen. Eine junge Frau, unverheiratet und schwanger. Eine Familie ohne Unterkunft. Einfache Hirten, die als Erste Besuch von Engeln erhalten. Menschen aus fremden Ländern, die einen jüdischen Messias ehren. Kinder, die aus Machtgier getötet werden.

All das haben wir überdeckt mit gefälligen Sprüchen, Lichterketten und harmlosen Weihnachtsbildern.

Was wäre, wenn wir uns diesem unbequemen Kern der Weihnachtsgeschichte wieder annähern würden? Würden wir vielleicht weniger hart über Alleinerziehende urteilen, wenn wir uns vor Augen hielten, unter welchem sozialen Druck Maria lebte?
Vielleicht wären wir offener gegenüber wohnungslosen Menschen und sensibler für ungleichen Zugang zu medizinischer Versorgung, wenn wir bedenken würden, dass Maria und Josef ihr Kind bei Tieren zur Welt bringen mussten.
Vielleicht würden wir Menschen unabhängig von Ansehen oder Herkunft als Teil unserer Gemeinschaft sehen, wenn wir ernst nähmen, dass Gott ausgerechnet die Hirten zur Feier von Jesu Geburt einlud.
Vielleicht würden wir nationale, kulturelle und rassistische Grenzen hinterfragen, wenn wir uns erinnerten, dass Fremde die ersten Geschenke brachten, während ein einheimischer Machthaber zum Mörder wurde. Vielleicht ließen wir uns sogar von Menschen führen, die wir als „anders“ wahrnehmen.

Der größte Skandal von Weihnachten liegt womöglich darin, dass uns diese Geschichten so vertraut sind, dass wir ihre Sprengkraft kaum noch wahrnehmen.

Wenn wir einen Schritt zurücktreten und betrachten, wie sehr die biblische Weihnachtsgeschichte unsere Vorstellungen von Anstand und Frömmigkeit auf den Kopf stellt, dann merken wir: Wir sehen die Welt nicht so, wie Gott sie sieht.

  • Gott wählte Maria mit ihrem Kind, trotz aller Konsequenzen.
  • Jesus hatte kein Problem mit einer Geburt im Stall.
  • Gott schickte Engel zu den Hirten und zog anschließend Menschen aus fernen Ländern an.
  • Und er litt mit den Müttern, deren Kinder durch Herodes’ Gewalt starben.

Ich bin dankbar für das Ärgernis und die Zumutung von Weihnachten, denn sie verweisen auf die unbequeme Liebe Gottes. Wenn Gottes Liebe an Bedingungen geknüpft wäre, hätte ich nie einen Platz in seiner Gemeinschaft gefunden.

Wenn wir lernen, diese Liebe anzunehmen, wird sie zum Maßstab für unser Zusammenleben.

Vielleicht braucht es gerade in der Weihnachtszeit mehr Mut zur Unbequemlichkeit. Mehr Nähe zu denen, die andere meiden. Mehr Zeit für Menschen, die wenig gelten.

Denn ohne die radikale Liebe Jesu würde niemand von uns zur Familie Gottes gehören.

Judith Bergen