Soll der Glaube nackt bleiben?

Soll der Glaube nackt bleiben?

Luthers Streit mit den Täufern oder Sind wir heute alle Lutheraner?

Unsere Serie zu den sog. Exklusivpartikeln der lutherischen Reformation geht zu Ende. Das letzte Mal ging es um „Allein die Gnade? Sola Gratia; Zwischen Werkheiligen und Schriftgelehrten“. Heute die Frage: Macht uns „allein der Glaube gerecht“? Auf der Netzseite der AMG mennoniten.de heißt es „Sola Fide: im Glauben allein ist dies zu erkennen und anzunehmen.“ Doch was ist überhaupt „Glaube“?

Gehorsam und Zuversicht

Für den Täufer Hans Denck ist Glaube „Gehorsam gegenüber Gott und die Zuversicht zu seiner Verheißung durch Jesus Christus. … Der Gehorsam aber muss rechtschaffen sein, das heißt, dass Herz, Mund und Tat aufs beste miteinandergehen.“

Michael Sattler meint, wer von der Rechtfertigung durch Christus rede, müsse auch vom Glauben reden, der nicht ohne die Werke der Buße sei, ja nicht ohne die Liebe. „Denn nur ein durch die Liebe gesalbter Glaube … ist allein ein christlicher Glaube und wird zur Gerechtigkeit gerechnet, Röm 4.“ Die „Werkheiligen“ predigten Werke des Gesetzes, die der Mensch aus sich selbst tun kann, um eigenen Verdienst zu erwerben, „vermeintliches Eigentum an den Werken“. Die Werke des Glaubens seien nicht aus sich selbst, sondern aus der Kraft des Glaubens, Werke Gottes aus der Hinkehr zu Gott, Gottes Gabe durch Christus. „Die ‚Schriftgelehrten’ … lehren einen Glauben ohne Werke als ihre Genugtuung (Rechtfertigung), wollen aber nicht hören, dass Jesus sagt: Komm folge mir nach!“

Neue Menschen

Menno Simons, 1496-1561
Menno Simons, 1496-1561

Menno Simons bekräftigt: „Wir suchen unsere Seligkeit nicht in Werken, Worten oder Sakramenten, … sondern allein in Christo Jesu und in keinem anderen Mittel weder im Himmel noch auf Erden. … Alle welche … Christus Jesus, mit gläubigem Herzen annehmen, …, glauben und bekennen, dass durch sein Opfer … ihre Sünden … vergeben sind. … die Kraft des Glaubens rührt und verändert und verwandelt sie in neue Menschen, so dass sie, durch die Gnade und Kraft des heiligen Geistes, in der Kraft der neuen Geburt und nach dem Maß ihres Glaubens, im Gehorsam gegen ihren Gott … wandeln. … Sie beweisen also mit der Tat, dass sie glauben

Nackter Glaube

Balthasar Hubmaier, 1480-1528
Balthasar Hubmaier, 1480-1528

Als „nackten Glauben“ bezeichnet Balthasar Hubmaier aus Friedberg das „sola fide - allein der Glaube“ 1528 kurz vor seiner Hinrichtung: „Allein der Glaube, nackt und für sich, ist nicht genug zur Seligkeit.“ Im Römerbrief heiße es, mit dem Herzen glaube man zur Gerechtigkeit, aber mit dem Mund geschehe das Bekenntnis zur Seligkeit, Röm 10, 10. Wir sollen aber nicht „Maulchristen“ sein, „sondern … den Glauben auch mit den Werken der Liebe zu Gott und unseren Nächsten anpacken“. Nach dem Jakobusbrief sollten wir „Handchristen“ sein. Der nackte Glaube sei „wie ein grüner Feigenbaum ohne Frucht, wie eine Zisterne ohne Wasser, wie eine Wolke ohne Regen.“ Hubmaier bekräftigt, „dass der nackte Glaube nicht würdig sei, ein Glaube genannt zu werden, denn ohne die Werke der Liebe kann es nimmermehr rechten Glauben geben.“

In der Nachfolge handeln

Die täuferische Kritik an den Sola-Formulierungen läuft auf den Vorwurf hinaus, sie schöben alles auf Christus und die Gnade Gottes. Auf unser Handeln komme es nicht an. Demgegenüber betonen die Täufer das Handeln in der Nachfolge, als Teilhabe am fortdauernden Wirken Christi. Auch für sie sind Gnade und Glaube wichtige Ausgangpunkte. Sind die lutherischen Exklusivpartikel eher affirmativ, indem sie den gerechtfertigten Sünder in seiner Situation belassen und letztlich dazu beitragen den gesellschaftlichen Status Quo zu bewahren, so zielt die täuferische Kritik auf Veränderung. Der gerechtfertigte Sünder wird verwandelt in das „Bild Christi“. In der „neuen Geburt“ wird er zum „neuen Menschen“. Diese neutestamentlichen Vokabeln der Veränderung machen nicht beim einzelnen und seiner neuen Geburt halt, sondern sehen den neuen Menschen im Leib Christi und richten den Blick auf das Reich Gottes, den neuen Himmel, die neue Erde. Vielleicht bewahrt sich darin auch ein Moment der Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung, wie sie mit der Bauernbewegung 1525 grausam besiegt worden war.

In den ökumenischen Dialogen der letzten Jahrzehnte suchten Mennoniten, Katholiken, Reformierte und Lutheraner die anderen aus deren je eigenen Voraussetzungen zu verstehen. Warum sollten wir, gerade wenn wir uns selbst vorstellen, dahinter zurückfallen? Ich selbst schaue ganz selten auf die Netzseite der AMG. Für andere ist sie erste Orientierung über die Mennoniten. Suchmaschinen geben sie als Topadresse an. Unsere Visitenkarte im Netz sollte uns nicht weiter mit lutherischen Grundkategorien vorstellen. Nachfolge Jesu sollte als Hauptmotiv täuferischer Theologie und Praxis deutlich werden.

Allein die Liebe?

In 1 Kor 13 feiert Paulus die Liebe. Alle menschlichen Dinge, Erkenntnisse, Handlungen, ja selbst der Glaube seien ohne Liebe nichts. Dann wird der Glaube aber doch genannt „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Warum findet sich unter den Exklusivpartikeln nicht „allein die Liebe“? Manche Schärfe hätte vermieden werden können, wäre der Liebe Raum gegeben worden. Aber halt, besser nicht die Liebe allein. Wenn mich die Beschäftigung mit diesem Thema eins gelehrt hat, dann dass wir uns hüten sollten vor Exklusivformulierungen. Selbst der Liebe tut es nicht gut, wenn sie allein bleibt.

„Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.“ 1 Joh 4,16. Gott aber will nicht allein bleiben. In Jesus ist er Mensch geworden, damit wir ihn erkennen und Gemeinschaft mit ihm und untereinander haben.

Wolfgang Krauß

Quelle: Aus dem Gemeindebrief 4/2020