Unsere Geschichte öffentlich erzählen
Kurt Kerber im Gespräch mit Wolfgang Krauß über ein Projekt zur Vergegenwärtigung verdrängter und vergessener Geschichte.
Bei einer Stadtführung auf den Spuren der Täufer wird Geschichte lebendig
Täuferischer Missionar - wie klingt das in deinen Ohren. Würdest du dein Wirken und deine Sendung in diesem Licht sehen?
Klingt gut, aber auch etwas seltsam. Ja, ich bin ein Missionar, ein Gesandter. Lateinisch „missio“ heißt „Sendung“. Ich sehe mich nach Augsburg gesandt, dort etwas auszurichten. Täuferischer Missionar? Ja, denn Anknüpfungspunkt hier. Es geht mir aber nicht um etwas Exotisches oder Besonderes, etwas von unserer allgemeinen Sendung als Christen Getrenntes. Die Frage ist vielmehr, worin unsere Sendung tatsächlich besteht. Die Täufer waren die einzigen, die damals Nachfolge Jesu ins Zentrum ihrer Theologie und Praxis stellten. Ihre Gegner auf katholischer und reformatorischer Seite erklärten Gewaltfreiheit, Feindesliebe, Glaubenstaufe und andere Merkmale der Nachfolge zu Ketzerei und Staats-verbrechen, etwa im Augsburger Bekenntnis von 1530. Ich möchte an die Menschen erinnern, die damals unter großen Schwierigkeiten den Weg Jesu gegangen sind. Sie sind Zeugen Christi und laden uns ein in seine Nachfolge.
Was genau planst und machst du in Augsburg?
Das Projekt nennt sich „Wieder Täufer in Augsburg und anderswo“. Es soll die verdrängte und vergessene Geschichte der Täuferbewegung dieser Stadt vergegenwärtigen. Von 1526 bis 1529 sollen zeitweise bis zu 1.000 Täufer hier gelebt haben. Augsburg war eine Hauptstadt der Täuferbewegung. Doch nichts erinnert im heutigen Stadtbild daran. Dabei wird der lutherischen Gedenktafeln, Straßennamen, Luthermuseum...
Ich will, dass „unsere Geschichte“ endlich öffentlich erzählt wird. Es ist eine überaus spannende Geschichte. Sie handelt von der Entstehung geschwisterlicher Gemeinde inmitten von Gewalt- und Unterdrückungsverhältnissen. Viele unbekannte, aber auch viele prominente Täufer kommen darin vor. Sie spannt einen Bogen von der Taufe Hans Dencks durch Balthasar Hubmaier 1526, über die vielen Untergrundversammlungen zur Märtyrersynode von 1527, bis zur Hinrichtung Hans Leupolds 1528 und die Vertreibung der Täufer 1529. Dann das Wiederaufleben einer Gemeinde unter der Leitung Pilgram Marpecks ab 1544. Niemand wird diese Geschichte erzählen, wenn wir es nicht tun.
Ich nehme diese Geschichte auf und erzähle sie bis heute weiter. Das geschieht in persönlichen Kontakten, Veranstaltungen - etwa zum aktuellen Dialog mit den Lutheranern - Veröffentlichungen, Erinnerungszeichen wie Gedenktafeln, Stadtführungen... Das größte Projekt ist eine Ausstellung. Sie soll in einem Dokumentationszentrum einen dauerhaften Ort finden. Bis ein solches werden kann, müssen noch viele Vorarbeiten getan werden. Es braucht weitere historische Recherche, viele Kontakte müssen geknüpft und nicht zuletzt müssen die Finanzen aufgebracht werden.
Auf welches Echo stößt du mit deinem Anliegen an der Öffentlichkeit und in Kirchen und Gemeinden?
Zwei Jahre arbeite ich jetzt in Augsburg. Seit April 2009 habe ich auch eine Zweitwohnung dort. Ich habe einige gute Freunde gewonnen. In den Kirchen begegne ich sowohl Offenheit, als auch Skepsis. Bisher schien mir das Projekt noch nicht reif, damit an die große Öffentlichkeit zu gehen. 2011 will ich jedoch entsprechende Schritte tun. So hoffe ich, den lutherisch-mennonitischen Dialog in die Thematik des Friedensfestes am 8.8.2011 einzubrin-gen und die in Stuttgart besiegelte Versöhnung auch in Augsburg zu erden.
Augsburg sieht sich als „Friedensstadt“. Als einzige Stadt weltweit hat es im „Hohen Friedensfest“ am 8. August einen gesetzlichen Feiertag für den Frieden. Als römische Gründung (15 v.Chr) klingt schon in seinem Namen die Pax Augusta an. Schon früh gab es auch Christen in der Stadt. Sie wurden zunächst verfolgt. So zieht sich bis heute eine Spannung durch die Stadtgeschichte zwischen Pax Christi und Pax Romana. Die Täufer wurden gewaltsam vertrieben. Die Erinnerung an diese dunkle Seite der Stadtgeschichte wird nicht überall gleich freudig aufgenommen.
Dir ist ein gemeinsames Wirken mit der mennonitischen Gemeinde in Augsburg wichtig. Wie soll das aussehen bzw. sieht es aus?
Von Anfang an suchte ich den Kontakt zu den Geschwistern unserer Gemeinde in Augsburg. Nachdem ich ihnen das Konzept vorgestellt hatte, beschlossen sie nach intensiver Diskussion, das Vorhaben inhaltlich und finanziell zu unterstützen. Ich nehme am Gemeindeleben teil und möchte dazu beitragen, dass die Gemeinde aufgebaut wird und suchende Menschen in Augsburg den Weg zur Gemeinde finden. Ich bin dankbar, dass in der Gemeinde schon eine geistliche Basis da ist. Andererseits hat die Gemeinde ähnliche strukturelle Probleme wie andere: sie ist geografisch weit verstreut und hat eine ungünstige Altersstruktur. Auch feiert sie derzeit nur einmal im Monat Gottesdienst.
Welche Angebote kannst du Menschen machen, die dein Anliegen und Projekt in Augsburg kennen lernen bzw. an ihm teilhaben möchten?
Da gibt es eine Menge Möglichkeiten. Ganz niederschwellig etwa die Teilnahme an einer Stadtführung auf den Spuren der Täufer. Ich mache gerne Termine mit Gruppen und Gemeinden. Augsburg ist immer eine Reise wert, es ist eine wunderschöne Stadt und seine mehr als 2000jährige Geschichte lässt sich anschaulich aufzeigen. Auch lasse ich mich gerne einladen, über täuferische Themen zu referieren. Die Honorare helfen bei der Finanzierung des Projekts. Über die Stiftung „Theologische Ausbildung“ kann steuerbegünstigt gespendet werden.
Wer geografisch mobil ist, kann nach Augsburg ziehen und direkt mitarbeiten. Es gibt hier eine Uni und andere Ausbildungsmöglichkeiten. Manchmal träume ich von einer täuferischen Hausgemeinschaft und den Möglichkeiten, die sich dadurch für öffentliches Zeugnis ergeben könnten. Das würde die Gemeinde stärken und auch dem Projekt helfen. Das beste Erinnerungszeichen für die Täuferbewegung sind lebendige Gemeinden heute.
Beabsichtigst du auch Gemeindegründung in Augsburg oder im Augsburger Umfeld?
Ich bin dankbar für die bestehende Mennonitengemeinde und möchte mithelfen, dass sie den Weg in die Zukunft findet. Dazu braucht es einiges an Veränderungen und es wird alle Beteiligten Kraft kosten, diesen Weg der Erneuerung zu gehen. - Ich habe auch etwas Kontakt zu Russlandmennoniten und sowieso zu vielen anderen Gemeinden, auch freikirchlichen Neugründungen. Dort bringe ich das täuferische Anliegen ein und verstehe das als heute notwendiges ökumenisches Teilen „unseres“ Erbes.
Im August 1527 diskutierten Täufer aus ganz Süddeutschland, der Schweiz und Österreich in Augsburg eine Missionsstrategie für den deutschsprachigen Raum. Sie stellten das von der Reformation aufgestellte Prinzip der Territorialkirche infrage. Zu zweit wurden sie ausgesandt, in den Monaten danach jedoch wurden die meisten verhaftet und hingerichtet. Darum wurde die Versammlung Märtyrersynode genannt. Heute haben wir alle Freiheit neue Strategien zu entwickeln. Menschen aus vielen Völkern sind hergekommen und leben in unseren Städten.
Augsburg ist eine Migrantenstadt, es hat 40 % Einwohner mit Migrationshintergrund, unter Jugendlichen sind es sogar 60 %. Darunter ist ein hoher Anteil Muslime. Ich denke darüber nach, ob und wie der nachfolgeorientierte täuferische Ansatz eine Brücke zu diesen Menschen sein kann. Die Täufer hatten sich im 16. Jahrhundert gegen den Türkenkrieg ausgesprochen und wollten gerade den muslimischen Türken in der Liebe Christi begegnen. Die praktischen Möglichkeiten sind dazu heute viel besser. Aber ob aus dieser Perspektive eine Gemeindegründung wird? Ob Menschen türkischer Herkunft den Weg in die Augsburger Gemeinde finden? „Inschallah!“ heißt es auf Arabisch. „So Gott will!“ im Deutschen. Sure 18,24 des Koran schreibt dazu ähnliches wie Jakobus 4,15. Etwas Kontakt zu türkischen Muslimen habe ich bereits.
Gekürzte Fassung aus der Verbandszeitung