Im Jahr 1528, Leitershofer Eitelhans Langenmantel als Ketzer hingerichtet
Führender Täufer stammte aus Augsburg
Wer bei einem Gang durch Leiterhofen am Unteren Schloß (Schloßstraße 12) vorbei kommt, kann an der Nordwand eine von Efeu umrankte Tafel entdecken. Im Jahr 1904 hat sie der damalige Besitzer Fritz Eber anbringen lassen. Der interessierte Betrachter liest:
Dieses Gut war Eigenthum des Eitel Hans Langenmantel, eines Angehörigen des längst erloschenen Patriziergeschlechtes der Langenmantel vom Sparren: Nachdem derselbe den größten Theil seines Lebens auswärts ein Landsknechtsleben geführt, betheiligte er sich, 1525 in die Heimath zurückgekehrt, an den theologischen Streitigkeiten jener Zeit. Zuerst begeisterter Anhänger Zwinglis, trat er 1527 in das Lager der Wiedertäufer. Bei der grausamen Verfolgung der letzteren wurde er von dem Hauptmann des Schwäbischen Bundes hier aufgegriffen, nach Weißenhorn geschleppt und dort im Mai 1528 enthauptet.
Abgesehen von der Legende des Landsknechtsleben in der Fremde, die auf eine Verwechslung mit einem jüngeren Namensvetter zurück geht, sind das Schicksal des Täufers und sein Leben treffend zusammengefaßt. Was ist über die knappen Informationen einer Gedenktafel hinaus über Eitelhans Langenmantel bekannt?
Eitelhans entstammte einem der ältesten und angesehensten Augburger Patriziergeschlechter. Als Fernhändler und Finanziers hatten es die Langenmantels vom Sparren zu beträchtlichem Reichtum gebracht. Bis 1548 stellten sie zehn Stadtpfleger (Bürgermeister) und liegen damit an der Spitze aller Ratsfamilien. Noch heute gibt es zwei Stiftungen, die auf sie zurück gehen. In ihrem Besitz waren die Ortschaften Zusmarshausen, Langerringen, Radau, Hainhofen, Binswangen u.a. Auch Eitelhans zahlte zwischen 1500 und 1527 als Augsburger Bürger beträchtliche Steuern: zwischen 8 und 15 Gulden jährlich (ein Gulden entsprach etwa dem Wert einer Kuh). Um ca. 1480 soll er in Leiterhofen geboren sein. Genaueres läßt sich nicht sagen, da die Kirchenbücher nicht so weit zurück reichen.
Um diese Zeit – 1517 hatte Luther seine Thesen angeschlagen – trieben religiöse Fragen das gesamte Volk um, selbst das einfache, das nicht lesen und schreiben konnte. Unser Patrizierssohn hatte, wie wir von der Tafel wissen, seinen Standpunkt gefunden; er war ein Anhänger des Züricher Reformators Huldreich Zwingli. Damit gehörte er zu dieser Zeit in Augsburg zur Mehrheit. Spätestens seit 1527 galt die Stadt als „zwinglianisch“. Es waren besonders die Armen und die Angehörigen der Zünfte, die Zwinglis Lehre annahmen. Die wohlhabenden Bürger der Oberstadt bei St. Anna hielten zu Luther. In den Lechvorstädten und der Jakober-Vorstadt aber strömte man in die Barfüßerkirche, wo populäre Pediger, wie Michael Keller aus Wittenberg oder der Franziskanermönch Johann Schilling durch religiöse sondern auch sozialrevolutionäre Ideen die Geister erregten. Die „Habenits“, die keine Steuern zahlten und 1526 ganze 54 % der Augsburger ausmachten, hörten es gern, wenn von der Kanzel gegen die Mächtigen und Besitzenden gewettert und das baldige Ende ihrer Herrschaft angekündigt wurde. Als Schilling 1524 vom Rat aus der Stadt verwiesen wurde, brachte eben das den Aufstand. Stundenlang wurde das Rathaus von 2000 empörten Bürgern belagert. Die Domherrn und auch Jakob Fugger verließen die Stadt, weil sie um ihre Sicherheit fürchteten. Der Bischof hielt sich ohnehin in Dillingen auf.
Als „linker“ Flügel der Reformation bildeten sich die Täufergemeinden heraus. Sie traten aber in Augsburg nicht umstürzlerisch auf, sondern wollten die religiöse Erneuerung weiter voran treiben. Die Kindertaufe verwarfen sie; getauft werden sollten nur gläubige Erwachsene in freier Entscheidung. Die seit Konstantin herrschende Lehre der Einheit von Staat und Kirche als „Leib Christi“ lehnten sie ab und traten – ihrer Zeit weit voraus – für Glaubensfreiheit und staatliche Nichteinmischung ein. Ihre Vorsteher wurden gewählt oder nach Gebet durch das Los bestimmt. In der Anfangszeit waren es alle ausgebildete Theologen. Die Täufer pflegten einen urchristlichen Kommunismus. Wer Besitz hatte, teilte ihn mit den armen Brüdern. Ihre soziale Zusammensetzung entsprach dennoch ziemlich genau der der Augsburger Bürgerschaft. Zu Gottesdiensten traf man sich in kleinen Gruppen in Häusern oder in der freien Natur. Ihre Zahl soll in Augburg kurzzeitig etwa 1000 betragen haben. Die Eidesleistung, das Tragen von Waffen und weltliche Vergnügungen lehnten sie ab. Zwischen 1525 und 1529 erschienen zahlreiche theologische Abhandlungen der Täuferführer als Augsburger Druckwerke, darunter das älteste religiöse Gesangbuch Augsburgs aus dem Jahr 1529.
Die erste Täufergemeide war 1523 in Zürich entstanden, im Juni 1524 erreichte die Bewegung mit dem Züricher Prediger Ludwig Hätzer Augsburg. Nachdem dieser zusammen mit zwei Patriziern einen Täuferkreis aufgebaut hatte, wurde er aus der Stadt verwiesen. Der gelehrte Theologe Hans Denck aus Oberbayern, der in engem Kontakt mit Erasmus stand, kam im September 1525 nach Augsburg und übernahm die Leitung der Täufergemeide. Auch er mußte nach einem Jahr auf Befehl des Rates Augsburg, wo er sich zuvor hatte taufen lassen, verlassen. In Worms traf er auf Hätzer, und die beiden erarbeiteten gemeinsam die erste Übersetzung der Propheten des Alten Testaments. Denck gilt für seine Zeit durch sein Eintreten für Glaubens- und Gewissensfreiheit als ausgesprochen liberal und modern.
In der Folgezeit tauchte mehrmals der Täuferwanderprediger Hans Hut für einige Tage in Augsburg auf. Hut hatte sich im Bauernkrieg Thomas Münzer angeschlossen, erkannte aber dessen Befürwortung der Gewalt als Irrweg. Er war überzeugt vom bevorstehenden Weltgericht, das die Obrigkeit richten und die Auserwählten verschonen werde. Seine Endzeitideen mögen die verhängnisvolle und abwegige Entwicklung, die die Täuferbewegung 1535 in Münster eingeschlagen hat, beeinflußt haben. Damals endete ihre Herrschaft des „Neuen Jerusalem“ in Anarchie und Gewalt. Als Täufermissionar war Hut in Mittel- und Süddeutschland unterwegs und gründete und organisierte unermüdlich neue Gemeinden. In Augsburg ließ er zu Fastnacht 1527 Siegmund Salinger zum Vorsteher wählen und eine Armenkasse der Täufer gründen. Eitelhans Langenmantel und andere wurden von ihm zu dieser Zeit getauft.
Von der städtischen Obrigkeit wurden diese Aktivitäten argwöhnisch beobachtet, doch ging man zunächst noch nicht gegen sie vor. Langenmantel wurde zwar im März 1527 für einige Tage gefangengehalten und verhört, weil er drei Schriften zur Abendmahlsfrage herausgegeben hatte, in denen er gegen die Lutheraner als die „Neuen Papisten“ polemisierte. Nach eindringlichen Verwarnungen wurde er wieder freigelassen. Aber lange währte die Freiheit nicht.
Im August trafen sich etwa 60 Vertreter der Täufergemeinden aus der Schweiz und Süddeutschland in Augsburg zu einer Synode, um theologisch strittige Fragen zu klären und eine Missionsstrategie zu erarbeiten. Alle führenden Köpfe der Täufer waren angereist: Hätzer, Denck, Hut … Augsburg war zu einem dritten Zentrum der Täuferbewegung geworden, neben Zürich und Straßburg. Von der Synode ging ein erneuter Schub für die Augsburger Täufer aus. Doch nach dem Treffen schritt der Rat gegen ihre „Umtriebe“ ein. Im Oktober 1527 verkündete er einen öffentlichen „Beruf“, durch den jede Unterstützung der Täufer oder Teilnahme an ihren „Rottierungen“ verboten wurde. Es war mehr die Angst, die Täufer könnten die bestehende Ordung gefährden, die die Rathsherren antrieb, weniger religiöser Dogmatismus. Um so rigoroser ging man vor. Etwa 60 Täufer wurden festgenommen, darunter alle führenden Leute der Augsburger Gemeinde und auch Hans Hut. Er wurde schwer gefoltert und starb unmittelbar danach unter ungeklärten Umständen durch einen Schwelbrand in seinem Verlies. Noch der Tote wurde verurteilt, die Verbrennung des Leichnams angeordnet, seine Asche in die Wertach gestreut.
Zunächst konnte die Täuferbewegung nicht aufgelöst werden. Viele Augsburger Täufer zogen sich in die umliegenden Dörfer zurück; in Göggingen, Bobingen und Täfertingen entstanden neue Gemeinden, von auswärts kamen neue Anhänger in die Stadt.
Mitte September wurde auch Langenmantel gefangengenommen und unter der Folter befragt. Bürgermeister Rehlinger und lutherische Prediger versuchten ihn zur Trennung von den Täuferlehren zu bewegen. Wahrscheinlich erreichten sie ihr Ziel, denn Langenmantel wurde mit anderen Brüdern nur der Stadt verwiesen. Zuerst versteckte er sich in Göggingen im Haus des Täufers Laux Lang, eines Bruders des Kardinals und Erzbischofs von Salzburg. Doch sicher konnte ein Täufer in diesen Tagen nirgendwo sein. Bis zu 1000 Mann des Schwäbischen Bundes suchten in den Dörfern nach den „Aufrührern“. Anfang 1528 war Langenmantel in Langenneufnach, danach in verschiedenen Orten in den Westlichen Wäldern und dann in Leiterhofen, wo seit einem Jahr das Untere Schloß in seinem Besitz war. (Das heutige Schloß ist allerdings der zweite Nachfolgebau des ältesten Schlosses aus dem 13. Jahrhundert.)
Nach einem kurzen Aufenthalt in Augsburg kehrte er wieder nach Leiterhofen zurück. Dort wurde er am 24. April von einer Patrouille im Schloß aufgegriffen. Mit ihm führte man zwei Täufer aus Leiterhofen, sowie seine Magd und seinen Knecht ab. Sie wurden nach Weißenhorn geschafft, wo Langenmantel an drei Tagen, teilweise unter Folter, verhört wurde. Das Urteil brachte ihm nicht den Tod des Ketzers durch Verbrennen sondern den „gnädigen“ Tod durch das Schwert. Wahrscheinlich gelang es, ihm einen Widerruf abzupressen. Am 11. Mai wurden die drei Männer durch den Memminger Scharfrichter gerichtet, die Magd wurde ertränkt. Langenmantel, der wegen eines Beinleidens nicht gehen konnte, wurde auf einem Stuhl sitzend enthauptet.
Vor seiner Hinrichtung verfaßte der Täufer ein langes Gebet, das erhalten geblieben ist. Dort heißt es u. a.: „Steh uns doch bei in allen Ängsten und Nöten und in der Todespein..., denn du Gott bist ein Tröster der Elenden, du machest die Armen reich und stärkest die Schwachen... hilf uns zum Siege in Christo... sei du allein unser Helfer, damit wir sämtlich als deine Helden die Krone erlangen und ewig bei dir sein mögen, Amen.“
Der Pfarrer von Hl. Kreuz, Johann Schneid, sandte dem „riterlichen Christen Eitel Hannsen Langenmantel, meinem lieben bruder im herrn“ einen langen Brief in den Kerker, in dem er ihm einfühlend Trost zusprach.
Eitelhans Langenmantel war auf Grund seiner Herkunft die angesehenste Persönlichkeit der Augsburger Täuferszene und für diese ein Gewinn. Er konnte der Gruppe anfangs Gastfreundschaft und finanzielle Unterstützung bieten, war für diese Zeit gebildet und vielfältig begabt. Übrigens zählt er zu den Vorfahren des amerikanischen Präsidenten und Verfassers der Unabhängigkeitserklärung Thomas Jefferson.
Die Gedenktafel am Leiterhofer Schlößchen ist die einzige öffentliche Erinnerung an die reiche Augsburger Täufergeschichte. Am Himmelfahrtstag 1928 versammelte sich unter ihr die in der Tradition der Täufer stehende Augsburger Baptistengemeinde, um Eitelhans und der anderen Opfer an dessen 400. Todestag zu gedenken.
Die Täufersynode von 1527 wird in der Täuferliteratur (z. B. Mennonitisches Lexikon) als Märtyrersynode bezeichnet, da die meisten Teilnehmer hingerichtet oder schwer mißhandelt wurden. Im Mai und Juni 1528 erreichten die Verfolgungen in Augsburg ihren Höhepunkt. 44 Menschen wurden als Täufer, meist mit Ruten, aus der Stadt gejagt, 40 in die Kerker geworfen, sechs Täufern brannte man das Ketzerzeichen in die Wangen, darunter „fünf schöne Weiber“, zwei Männern und einer Frau wurden die Zungen ausgeschnitten, vier – darunter Langenmantel – enthauptet. In einem Märtyrerverzeichnis der Täufer von 1530 sind unter Augsburg zwölf Hinrichtungen mit Wasser, Feuer und Schwert genannt. In Passau waren es 14, in Linz 25 Opfer.
Unter den Verfolgten war auch Susanna Daucher, die Frau des bedeutenden Bildhauers Adolf Daucher. Er schuf den Altar der St. Anna Kirche mit der Figurengruppe Christus, Maria und Johannes. Die schwangere Susanna Daucher wurde am Rathaus an den Pranger gestellt und nach Verkündung des Urteils für immer aus der Stadt getrieben. Ihren Mann und zwei Kinder im Alter von drei und sechs Jahren musste sie zurück lassen. Wegen ihrer Schwangerschaft wurde ihr „aus Gnaden“ erlassen mit „einem Brand auf die Backen“ gezeichnet zu werden. Ihr Verbrechen war, an Ostern in Abwesenheit ihres Mannes ihr Haus für einen Gottesdienst zur Verfügung gestellt zu haben. An ihren Verhören beteiligte sich auch der Humanist Conrad Peutinger.
Nach den Verfolgungen und der Katastrophe von Münster 1535 waren die Täufer meist hoffnung- und orientierungslos. Ab 1540 sammelte der ehemalige katholische Priester Menno Simons die friedlichen Anhänger in den Niederlanden und Norddeutschland und baute neue Gemeinden auf. Nach ihm nennen sie sich Mennoniten. Heute gibt es ca. 580 000 Mennoniten weltweit, besonders in Nord- und Südamerika und früher auch in Rußland. Seit die Mennoniten Gemeinde Donauwörth im Jahr 1926 ihr Zentrum nach Augsburg verlegte, hat Augsburg wieder eine Mennonitengemeinde.
Die Gründung von Germantown bei Philadelphia in Pennsylvenia geht auf deutsche Mennoniten und englische Quäker zurück. Abspaltungen der Menoniten sind die Hutterer und die Amischen (Amish People).
Die täuferische Tradition bringt in die Ökumene ihre Friedensliebe, die konsequente Verwirklichung des allgemeinen Priestertums und die Ablehnung einer Verflechtung von Kirche und Staat ein. Auf der Synode von Stuttgart 2010 bekannten die lutherischen Kirchen ihre Schuld an den Verfolgungen im 16. Jahrhundert und baten die Mennoniten um Vergebung.
Alfred Hausmann, 2010
Langmantel