Christus allein lassen?
Luthers Streit mit den Täufern oder Sind wir heute alle Lutheraner?
Im letzten Gemeindebrief startete unsere Serie zu den sog. Exklusivpartikeln der lutherischen Reformation. Sind es auch unsere Grundüberzeugungen? Die heutige Folge widmet sich „Solus Christus“.
Solus Christus (allein Christus) können wir uns darauf nicht alle verständigen? Klar, aber was bedeutet das? Täuferische Kritik an diesem protestantischen Grundsatz meinte, Christus werde damit auf ein Werkzeug der Rechtfertigung reduziert. Zwar überbrücke das Opfer Jesu den Abgrund der Sünde zwischen Mensch und Gott. Sein unschuldiger Tod wirke Versöhnung mit Gott. Viele Täufer teilten eine solche Versöhnungslehre, sie entwarfen aber ein weniger enges Verständnis des Wirkens Christi.
Entscheidend für sie war Jesu Ruf in seine Nachfolge. Das Kreuz sahen sie nicht allein als Instrument der Rechtfertigung des Menschen vor Gott, sondern als Wirklichkeit der Nachfolge. Sie nahmen ihr Kreuz auf sich, folgten Jesus in Leiden, gar in den Tod. Das war die praktische Seite der Rechtfertigung. Nicht in einem abstrakten, gar juristisch gedachten Geschehen, das den Verdienst Jesu auf unser Konto schreibt, sondern in der konkreten Nachfolge werden wir gerechtfertigt. Wer Jesus nicht nachfolge, für den sei sein Kreuz nicht wirksam. Die lutherische Lehre führe nicht zur Umkehr. Sie lasse Menschen unverändert in ihrer Sünde. So würde letztlich Sünde gerechtfertigt. Nachfolge komme nicht in den Blick. Christus wolle uns jedoch hineinnehmen in die Erneuerung der Schöpfung. Die Identifikation mit ihm betreffe nicht nur den Einzelnen. Wer ihm nachfolge, werde Glied seines Leibes. Gemeinsam werde sein Auftrag weitergeführt. Einige Täuferstimmen sollen dieses Verständnis illustrieren.
Der Augsburger Täufer Eitelhans Langenmantel, 1528 enthauptet, schreibt zum Abendmahl: „Der Mensch prüfe sich ..., dass er sich wahrhaftig dem Vater zur Rechtfertigung ergeben habe, … dass er hinfür nicht sich selbst, sondern Gott und seiner Gemeinde lebe.“
Hans Hut, 1527 im Augsburger Gefängnis umgekommen, betont: „der ganze Christus muss leiden in allen Gliedmassen und nicht wie unsere Schriftgelehrten (so nennt er Luther u.a.) Christus predigen …: Christus als das Haupt habe es gar ausgetragen und zu Ende gebracht. Wo aber bleiben die Gliedmaßen und der ganze Leib, in dem das Leiden Christi erfüllt werden muss? Davon gibt Paulus Zeugnis, wenn er spricht: ‚Ich freue mich in meinem Leiden, dass ich erstatte, was noch fehlt vom Leiden Christi, an meinem Leibe’. Kol 1, 24.“
Leonhard Schiemer, am 14.1.1528 in Rattenberg am Inn enthauptet, zitiert ein Wort Jesu: „‚Wo ich bin, soll mein Diener auch sein.’ Sie meinen im Himmel. Aber wo Christus Blut schwitzt am Ölberg, … oder hängt am Kreuz, da wollen sie seine Diener nicht sein und nicht bei ihm stehn, auch mit ihm leiden. Sie sagen, er habe für sie gelitten. Das ist wahr, merke aber, für welchen Christus gestorben ist und derjenige stirbt nicht mit ihm, für den fährt auch Christus in den Himmel, und derjenige bleibt unten und darf nicht mit ihm fahren.“
Jakob Kautz bindet 1527 in Worms die Rechtfertigung an die Nachfolge, sonst werde Christus zum Götzen gemacht. „Jesus Christus von Nazareth hat in keinem anderen Weg, auf keine andere Weise für uns gelitten oder genug getan, wir stehen denn in seinen Fußstapfen und wandeln den Weg, den er zuvor gebahnt hat und folgen dem Befehl des Vaters wie der Sohn, ein jeder nach seinem Maß. Wer anders von Christus redet, hält oder glaubt, der macht aus Christus einen Abgott, welches alle Schriftgelehrten und falschen Evangelisten samt der ganzen Welt tun.“ Gegen „solus Christus“ wird also eingewandt, es beschränke das Wirken Christi auf Rechtfertigung ohne Auswirkung im Leben. Er sei jedoch weit mehr. Zudem bleibe Christus nicht allein. In der Nachfolge seien alle Glieder seines Leibes beteiligt an seinem Wirken. Leiden und Sterben Christi war für die Täufer nicht einsames Opfer zur Rechtfertigung der Sünder. Sie identifizierten sich mit dem leidenden Christus in der eigenen Verfolgungserfahrung. Sie entwickelten ihre Lehre nicht am Schreibtisch, sondern unter den konkreten Bedingungen des Leidens um Christi willen. Sie fanden sich in einer ähnlichen Situation, wie die neutestamentlichen Akteure. Das wirkte sich aus auf ihre Deutung des Leidens Christi und der ihm Nachfolgenden.
Wolfgang Krauß
Nächste Folge: Und wer nicht lesen kann?
Hinweis:
Theologische Studientagung der AMG, 4.-8.10.2020, 29320 Hermannsburg
Radikale Reformation und protestantische Exklusivpartikel
Referenten: PD Dr. Astrid von Schlachta, Prof. Dr. Martin Hailer, Dr. Alejandro Zorzin
Quelle: Aus dem Gemeindebrief 2/2020