Zwischen Werkheiligen und Schriftgelehrten
Luthers Streit mit den Täufern oder Sind wir heute alle Lutheraner?
Unsere Serie zu den sog. Exklusivpartikeln der lutherischen Reformation widmete sich das letzte Mal dem Grundsatz „Sola Scriptura – allein die Schrift!“ In der Täuferbewegung wurde die Bibel als Zeugnis ernstgenommen, aber nicht „wörtlich“ verstanden. Der Geist Gottes helfe, die Bibel zu verstehen. Darüber hinaus spreche er auch direkt in die Gemeinde. In dieser Folge geht es um „Sola Gratia“ – allein die Gnade ...
Sola Scriptura
Auf der Netzseite der AMG heißt es „Sola Gratia: dies geschieht durch die gnädige Zuwendung Gottes zu seinen Menschen, ist nicht ein Verdienst, den sich die Menschen durch irgendwelche Handlungen erworben hätten.“ mennoniten.de
Billige und teure Gnade
Täuferische Stimmen sprachen keineswegs gegen die Bedeutung der Gnade Gottes, sie warnten jedoch davor, „allein“ auf die Gnade zu setzen. Wer mit „sola gratia“ allein die Gnade betone, mache den Menschen leichtfertig ein gutes Gewissen, sie blieben in ihren Sünden und erführen nicht die lebensverändernde Kraft der Gnade. Ähnlich argumentiert der lutherische(!) Theologe Dietrich Bonhoeffer, wenn er 1937 in seinem Werk „Nachfolge“ billige und teure Gnade unterscheidet.
Christus ist genug, wenn ich ihn annehme
Von der Genugtuung Christi“ heißt eine Schrift, als deren Autor der Täufer Michael Sattler vermutet wird. Er beschäftigt sich darin mit der Frage, inwiefern Christus genug getan habe für die Rechtfertigung der Sünder. Er argumentiert sowohl gegen die „Werkheiligen“, so nennt er die Katholiken, wie gegen die „Schriftgelehrten“, so bezeichnet er die Lutheraner. - Ja, meint Sattler, Paulus betone die Sündhaftigkeit der Menschen und dass sie ohne eigenes Verdienst durch die Gnade in Christus gerechtfertigt würden, Röm 3, 23f. Das legten die „Schriftgelehrten“ jedoch so aus, als könne der Mensch durch Christus selig werden, „er täte die Werke des Glaubens oder nicht“. Paulus sehe das jedoch anders, Gott werde „jedem nach seinen Werken geben“, Röm 3,6. Wohl sei Christus die Versöhnung für die ganze Welt. Diese komme aber nur denen zugute, die ihn erkennen und annehmen im Glauben. „Die aber solches tun, die halten die Gebote Christi.“
Er sieht auf den Glauben und gute Werke
Auch Hans Denck sagt deutlich: „Gott wird jedem nach seinen Werken geben“. Das heiße aber nicht, dass jemand bei Gott etwas verdiene oder Gott ihm etwas schuldig sei. Er gebe uns vielmehr, „was er uns zuvor gegeben hat. Er sieht auf den Glauben und gute Werke, lässt sichs wohlgefallen und belohnt sie.“ Ihr Ursprung liege bei Gott. Indem wir sie tun, machen wir deutlich, dass wir die Gnade annehmen. Das Leiden Christi habe Genugtuung geleistet für die Sünden aller Menschen. Wer sich jedoch auf die Verdienste Christi verlasse, aber fortfahre „in einem fleischlichen, viehischen Leben“, der achte Christus nicht und lästere Gott. Wer glaube, „dass ihn Christus von den Sünden erlöst habe, der kann der Sünden Knecht nicht sein. So wir aber noch im alten Leben stehen, so glauben wir gewiß noch nicht wahrhaftig“.
Der Anfang der Nachfolge
In der lutherischen Lehre von der Rechtfertigung des Sünders „allein aus Gnade“ sahen täuferische Theologen eine Fehlinterpretation des Paulus. Wer den lutherischen Predigten lausche, habe es gar nicht nötig, sein Leben zu ändern, der Sünde abzusagen und Jesus nachzufolgen. Denn die Gnade decke ja alle Fehltritte zu. Dem sei aber nicht so, die Rechtfertigung aus Gnade gehe vielmehr einher mit Werken der Umkehr und sei der Anfang der Nachfolge.
Nächste Folge: Soll der Glaube nackt bleiben?
Hinweis:
Theologische Studientagung der AMG, 4.-8.10.2020, 29320 Hermannsburg
Radikale Reformation und protestantische Exklusivpartikel
Referenten: PD Dr. Astrid von Schlachta, Prof. Dr. Martin Hailer, Dr. Alejandro Zorzin
Quelle: Aus dem Gemeindebrief 4/2020