Frontalangriff auf den Rechtsstaat und das Flüchtlingsrecht

Erstellt am:

Mit Zustimmung von Nancy Faeser und Befürwortung durch die grüne Außenministerin Baerbock und den liberalen Justizminister Buschmann haben die Innenminister:innen der EU einen Frontalangriff auf den Rechtsstaat und das Flüchtlingsrecht gestartet.

Zumindest ehrlich war er wohl, Horst Seehofer, der erste Heimatminister der Republik, als er im Sommer 2018 an seinem 69. Geburtstag erneut für Empörung sorgte. Damals freute er sich in der Bundespressekonferenz hämisch über 69 Abschiebungen nach Afghanistan an seinem Geburtstag. Im Folgejahr erklärte er, man müsse Gesetze nur „kompliziert machen“, um sie durchzusetzen.

Frontalangriff auf Rechtsstaat und Flüchtlingsrecht

PRO ASYL: Bundesregierung redet schön, sie stimmt dem Ausverkauf der Menschenrechte in Europa zu

PRO ASYL wirft insbesondere Faeser und Baerbock vor, das menschenrechtliche Desaster schön zu reden.

Mit Zustimmung von Nancy Faeser und Befürwortung durch die grüne Außenministerin Baerbock und den liberalen Justizminister Buschmann haben die Innenminister:innen der EU einen Frontalangriff auf den Rechtsstaat und das Flüchtlingsrecht gestartet.

Es ist eine Fehlinformation, dass Geflüchtete aus Afghanistan und Syrien nicht in das Grenzverfahren kommen. Auch für diese Gruppen wird absehbar zum Beispiel in Griechenland in den verpflichtenden Grenzverfahren unter haftähnlichen Bedingungen zuerst die Zulässigkeit eines Asylantrages geprüft. Die massiv verwässerten Kriterien für angeblich sichere Drittstaaten öffnen Tür und Tor, um Schutzsuchende scheinlegal loszuwerden. Selbst Familien mit Kindern sollen künftig an Europas Grenzen in Haftlagern hinter Stacheldraht landen - selbst diese viel beschworene rote Linie hat die Bundesregierung laut Medienberichten nicht eingehalten.

„Wenn Geflüchtete in Grenzverfahren weggesperrt werden, um sie in unsichere Drittstaaten abzuschieben, dann hat das mit Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun“, sagt PRO ASYL-Sprecher Karl Kopp.

Und so sieht die viel beschworene Solidarität unter den Mitgliedstaaten aus: Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, muss dies auch weiterhin nicht tun. Statt dessen können diese Länder finanzielle Zahlungen leisten - zum Beispiel an die sogenannte libysche Küstenwache zur Flüchtlingsabwehr.

Die Originaltexte inklusive der Annexe, die gestern beim Rat für Inneres der EU beschlossen wurden, sind immer noch nicht veröffentlicht. PRO ASYL fordert die sofortige Veröffentlichung.

PRO ASYL befürchtet, dass die letzten menschenrechtlichen Bedenken der Bundesregierung aufgegeben wurden und Faeser und Baerbock wissentlich oder unwissentlich die Realität schön färben.

Die von Faeser aufgestellte Behauptung, dass syrische und afghanische Flüchtlinge nicht in das Grenzverfahren kommen, ist sachlich falsch. Neben der verpflichtenden Anwendung der Grenzverfahren für Asylsuchende aus Herkunftsstaaten mit einer Schutzquote von unter 20 Prozent sowie Schutzsuchenden, denen vorgeworfen wird, zum Beispiel Ausweisdokumente zerstört zu haben, steht es den Mitgliedstaaten offen, die Grenzverfahren auch auf jene Schutzsuchenden anzuwenden, die zum Beispiel über einen „sicheren Drittstaat“ fliehen. Alle Ankommenden werden bereits jetzt im EU-Modell-Projekt in Griechenland einer Zulässigkeitsprüfung unterworfen. Selbst Familien mit Kindern, die aus Syrien oder Afghanistan stammen, sind davon betroffen. Diese Praxis soll nun zur europäischen Norm werden.

PRO ASYL hat die nach und nach bekannt werdenden Zwischenergebnisse der Verhandlungen analysiert und konzentriert sich in einer ersten Reaktion auf die Grenzverfahren und die Auslagerung in Drittstaaten.

Grenzverfahren sind keine schnellen Asylverfahren an der Grenze. In jedem Asylverfahren – auch in den diskutierten Grenzverfahren – wird zuallererst entschieden, ob ein Asylantrag zulässig ist. Wer über einen angeblich sicheren Drittstaat kommt, wird zurückgewiesen. Und das gilt auch für Kinder und ihre Familien. Und weil die EU aktuell nicht von funktionierenden Demokratien mit guten Schutzsystemen umgeben ist, sollen die Kriterien gesenkt werden, damit unsichere Staaten für sicher erklärt werden können.  Das Kriterium, wann ein dritter Staat als sicher gilt, soll so aufgeweicht werden, dass angeblich sichere Teilgebiete ausreichen, um Menschen in das Land abzuschieben.

„The designation of a third country as a safe third country both at Union and both at Union and at national level may be made with exceptions for specific parts of its territory or clearly identifiable categories of persons.“ (Artikel 45 Absatz 1a AVVO)

Die Mitgliedstaaten sollen bei der nationalen Bestimmung von „sicheren Drittstaaten“ auch nur Teile eines Staates für sicher erklären können. Eine europäische Norm, die dies verhindert, gibt es dann nicht mehr. Damit wird die Justiz als dritte Gewalt entscheidend geschwächt. Bisher haben europäische Gerichte regelmäßig Verstöße gegen europäisches Recht gerügt.

Unklar ist noch, wie das Kriterium formuliert ist, nach dem ein territorialer Kontakt des Schutzsuchenden zu diesem Staat noch erforderlich sein soll. Das Ruanda-Modell Großbritanniens könnte nur scheinbar vom Tisch sein.

Viele Mitgliedsstaaten forderten, dass nicht einmal eine Verbindung zwischen den Schutzsuchenden und dem Staat, in den sie abgeschoben werden sollen, bestehen muss. In der letzten Stunde der Verhandlungen am Donnerstag wurden Vereinbarungen getroffen, die für den Schutz entscheidend sein werden, aber noch nicht bekannt sind. Aussagen auf der Pressekonferenz deuten darauf hin, dass auch hier die Mitgliedstaaten selbst entscheiden können, ob sie eine solche Verbindung verlangen. Damit wäre beispielsweise der Weg für einen Österreich-Ruanda-Deal frei.

PRO ASYL fordert: Die Beschlüsse müssen gerade an dieser Stelle umgehend öffentlich gemacht werden. Die Bedeutung wird an den Zwischenständen deutlich.

Stand 17. Mai:  „Member States may under national law provide for rules requiring a connection between the applicant and the third country concerned on the basis of which it would be reasonable for that person to go to that country.“ (Artikel 45 Absatz 2 AVVO)

Stand 6. Juni: The concept of safe third country may only be applied provided that:

b) there is a connection between the applicant and the third country in question on the basis of which it would be reasonable for that person him or her to go to that country, including because the applicant has transited through that third country, or if there is no such connection, the applicant consents to go there;

Hierzu haben aber mehrere Mitgliedstaaten gesagt, dass das für sie nicht akzeptabel ist. Für die Streichung des verpflichtenden Verbindungselements und für mindestens eine Rückkehr zum vorherigen Kompromissvorschlag der Präsidentschaft  sprachen sich AUT, CZE, NLD, GRC, HUN, POL, LTU (einziger offener Punkt), LVA, GRC, MLT, CYP, ITA, DNK aus. Siehe Bericht vom Ausschusses der Ständigen Vertreter (AstV) vom 6. Juni:
https://fragdenstaat.de/dokumente/238445–2899-astv-2-am-05–06-2023-fortsetzung-vorbereitung-ji-rat-am‑8–9‑juni-2023/

Quelle: Pressemitteilung von proasyl.de vom 9.6.23