Antikriegstag: Es braucht besseren Schutz für Kriegsdienstverweigerinnen und Kriegsdienstverweigerer
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Russinnen und Russen, die sich dem Kriegsdienst im Ukraine-Krieg entziehen, müssen ohne Wenn und Aber Zugang zu Schutz in Deutschland erhalten - das ist bisher nicht der Fall. Anläßlich des Antikriegstages am 1. September fordern Connection e.V., die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) und PRO ASYL die Bundesregierung und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu Nachbesserungen auf.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) teilte vor zwei Wochen der Deutschen Welle [1] mit, dass seit Beginn des Krieges in der Ukraine bisher nur 83 russischen Flüchtlingen im wehrpflichtigen Alter in Deutschland Schutz gewährt wurde. Das sind nur knapp 38 Prozent von insgesamt 221 inhaltlich entschiedenen Anträgen aus der Gruppe der russischen Männer im Alter von 18 bis 45 Jahren. 138 Anträge wurden abgelehnt* (Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum vom 24. Februar 2022 bis zum 31. Juli 2023).
Nach Erkenntnissen von Connection, EAK und PRO ASYL handelt es sich bei den Ablehnungen überwiegend um Asylsuchende, die vor ihrer wahrscheinlichen Einberufung geflohen sind, aber noch keinen Einberufungsbescheid erhalten haben. Laut Auskunft des Innenministeriums vom 11. Mai 2022 sollen Deserteur:innen vor allem nur dann Flüchtlingsschutz erhalten, wenn sie ihre Desertion nachweisen können, da diese „als aktives Bekenntnis gegen die Kriegsführung als Ausdruck einer oppositionellen Überzeugung“ gewertet wird.
„Der größte Teil der militärdienstpflichtigen Asylantragsteller aus Russland hat sich schon vorzeitig einer möglichen Rekrutierung entzogen“, sagt Wolfgang Burggraf von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK). „Sie wollten sich nicht der Gefahr aussetzen, direkt an die Front gebracht zu werden. Das wird ihnen nun im Asylverfahren zum Verhängnis.“
„Seit vielen Monaten wird vom Innenministerium und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darauf hingewiesen dass eine Regelung für Militärdienstentziehende kommen soll“, so Rudi Friedrich von Connection e.V. „Währenddessen aber geht die Praxis weiter, sie in ihren Asylverfahren abzulehnen. Hier werden Fakten zum Nachteil der Geflüchteten geschaffen, statt anzuerkennen, dass sie sich einem völkerrechtswidrigen Krieg entzogen haben und daher Flüchtlingsschutz erhalten sollten.“
Es braucht sichere Fluchtwege für russische Kriegsdienstverweigerinnen und Kriegsdienstverweigerer
Die Organisationen mahnen zudem an, dass es keine sicheren Einreisewege für russische Militärdienstleistende und Kriegsdienstverweiger:innen nach Deutschland gibt. Die derzeitigen Visaregelungen verhindern, dass viele von ihnen in sichere Länder ausreisen können. Bereits Mitte Juli hatten Abgeordnete des Europäischen Parlaments fraktionsübergreifend in einem gemeinsamen Schreiben [2] auf ihre kritische Situation hingewiesen und eine „Anpassung der Richtlinien für die Erteilung von Einreisevisa für Russen“ gefordert.
„Es ist nicht ausreichend, uns zu dem Schutz von russischen Kriegsdienstverweigerer:innen zu bekennen. Wir müssen den Weg zu diesem Schutz durch die Vergabe von humanitären Visa in den Auslandsvertretungen in Russland und den Nachbarstaaten auch umsetzen“, mahnt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.
Russischen Staatsbürger:innen droht auch außerhalb Russlands häufig eine Abschiebung nach Russland. Sie müssen daher auch von dort aus Anträge auf Einreise in die Europäische Union stellen können. Der Weg für humanitäre Visa muss geöffnet werden. Dies fordern auch zahlreiche russische Exilorganisationen in einer gemeinsamen Erklärung [3] vom 17. Juli 2023.
Alternative Aufenthaltsmöglichkeiten zu Asylverfahren stärken
Für Russen im militärdienstpflichtigen Alter, die sich bereits in Deutschland befinden, sollten alle rechtlichen Möglichkeiten auf Bundes- und Landesebene ausgeschöpft werden, um ihnen Aufenthaltssicherheit zu gewähren. Bei einer erzwungenen Rückkehr nach Russland droht ihnen die Rekrutierung für einen völkerrechtswidrigen Krieg.
Aufenthaltserlaubnisse, z.B. zum Zwecke der Familienzusammenführung, des Studiums, der Ausbildung oder der Erwerbstätigkeit, sollten unbürokratisch erteilt und verlängert werden. Dazu sollte von der Regelerteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem hierfür erforderlichen Visum nach § 5 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes im Wege einer Ermessensentscheidung abgesehen werden. Niedersachsen [4] und Thüringen [5] haben diese Möglichkeit im März bzw. April 2022 für russische und belarussische Staatsbürger*innen eröffnet. Andere Bundesländer lehnen entsprechende Anträge bislang ab: Das Bundesinnenministerium könnte sie dazu anweisen.
Weitere Informationen über die #ObjectWarCampaign, die sich für den Schutz von Kriegsdienstverweigerer:innen und Deserteur:innen aus Russland, Belarus und der Ukraine einsetzt: https://objectwarcampaign.org
[1] https://www.dw.com/ru/s-nacala-vojny-v-ukraine-germania-predostavila-ubezise-lis-83-uklonistam-iz-rf/a-66553124
[2] https://de.connection-ev.org/pdfs/2023-07_24-OPENLETTER.pdf
[3] https://docs.google.com/document/d/1nL5D5V62kb8mtoBKbwN5O6g-ez8nP6Sp9UIlCPls5dE/edit
[4] https://www.mi.niedersachsen.de/download/181927/2022-03-11_MI_Erl._Verlaengerung_von_Schengen-Visa_russischer_u.belarussischer_Besucher_Nachholung_von_Visumverfahren.pdf
[5] https://bimf.thueringen.de/media/tmmjv_migrationsbeauftragte/th10/bimf/Beauftragte/Gesetze/220412_Verlaengerung_von_Schengen-Visa_russischer_und_belarussischer_Staatsangehoeriger_aufgrund_aktueller_Reisebeschraenkungen_infolge_des_Ukrainekrieges.pdf
Quelle: Presseerklärung von Connection e.V., PRO ASYL und EAK