Auch in Bayern gab es Anhänger der Wiedertäufer

Erstellt am:

Wie ist das möglich, wo sie sich doch nur einmal taufen ließen?

Beim Stöbern im Internet stößt man manchmal auf wirklich kuriose Sachen. Ein Beispiel dafür ist der Artikel „Auch in Bayern gab es Anhänger der Wiedertäufer“, veröffentlicht im Traunsteiner Tagblatt im Jahr 2001.

https://www.traunsteiner-tagblatt.de/das-traunsteiner-tagblatt/chiemgau-blaetter/chiemgau-blaetter-2024_ausgabe,-auch-in-bayern-gab-es-anhaenger-der-wiedertaeufer-_chid,8.html

Herzog Wilhelm IV. von Baiern
Herzog Wilhelm IV. von Baiern, Held erster Güte der Gegenreformation.

Der Artikel des Traunsteiner Tagblatt benutzt hauptsächlich den Begriff „Wiedertäufer“, einen historisch abwertenden Ausdruck. Diese Bezeichnung stammt aus der Reformationszeit und wurde von Gegnern der Bewegung genutzt, um deren radikale Ansichten und Praktiken, wie die Trennung von Kirche und Staat, freiwillige Kirchenmitgliedschaft durch mündige Entscheidung und die Nachfolge Jesu im Glauben, schlecht zu machen.
In der seriösen wissenschaftlichen Literatur spricht man von „Täuferbewegung“ oder einfach von „Täufern“, um dem Sachverhalt gerecht zu werden.

Im Artikel werden spätmittelalterliche Endzeiterwartungen thematisiert, ohne ausdrücklich zu erwähnen, daß solche Endzeiterwartungen als Symptom politisch-sozialer Umbrüche, Mißstände und angstmachender Maßnahmen durch Obrigkeit und Obrigkeitskirche vor der Gefahr durch die osmanische Expansion damals weitverbreitet waren. Wie sollten die frühen Täufer:innen von diesen Spannungen gefeit gewesen sein. So verwundert es nicht, daß es auch von manchen Täufer:innen aufgegriffen wurde. Die Frage ist, weshalb der Artikel so tut, als wäre es ein täuferisches Merkmal.

Nun macht der Artikel einen Sprung und geht zu Ereignissen in Münster in den 1530er Jahren, die in der Geschichte der Täuferbewegung eine umstrittene Rolle spielen. Münster wird im Artikel wie seit Jahrhunderten immer dann hervorgeholt, wenn man Gegner:innen zum Schweigen bringen und/oder die Bewegung generell schlechtreden will. An dieser Stelle verwendet der Artikel nicht mehr die Begrifflichkeit „Wiedertäufer“, sondern „Täufer“, als wolle er es damit wissenschaftlich unterstreichen.
Die Darstellung von Münster bleibt oberflächlich und berücksichtigt weder die komplexen historischen Zusammenhänge und politischen Gepflogenheiten noch die sozialen und religiösen Bedingungen jener Zeit. Was ist damals passiert? Plötzlich war der Stadtrat durch demokratische Wahlen voller Täufer, die wie ihre katholischen und protestantischen Kollegen in anderen Städten versuchten, ihre Vorstellungen umzusetzen. Sie hatten keine Vorbilder, wie man es besser machen könnte. Sie errichteten eine theokratische Gemeinschaft, die sich am Alten Testament orientierte. Der enorme Druck von außen, die Stadt einzunehmen, kam noch als Belastung hinzu. Klar, daß beides nicht gutgehen konnte. Es endete blutig, als die Stadt von einem Bündnis katholischer und lutherischer Kräfte zurückerobert wurde. Und wie üblich wird die Geschichte von den Siegern mit ihrer einseitigen Propaganda erzählt.

Literatur zur Vertiefung der Ereignisse in Münster:

  • Der "Wiedertäufermythos": Münsters umstrittener Erinnerungsort
    Autor: Jan Matthias Hoffrogge; ISBN: 978 3402131213
  • Die Täufer zu Münster
    Autor: Thomas Seifert; ISBN: 978-3896887924

Es bleibt zu wünschen, daß die historischen Ereignisse in Münster im Rahmen des bevorstehenden 500-jährigen Gedenkens wissenschaftlich objektiv aufgearbeitet werden, so daß daraus wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden können.

In der Regel denkt man bei Täufern zuletzt – wenn überhaupt – an Münster.

Gut zu wissen ist, daß es zu dieser Zeit keine einheitliche Auffassung davon gab, was Täufer sind, da die Bewegung unabhängig voneinander an verschiedenen Orten entstand und sich stark voneinander unterschied. Doch schon damals kristallisierte sich eine Hauptströmung heraus, die sich dem annäherte, was man heute unter der Täuferbewegung versteht. Heute versteht man unter der Täuferbewegung jene Bewegung, die sich an Jesus‘ Glaubensverständnis orientiert und sich daher in Gewaltfreiheit übt.

Auch im Gebiet des heutigen Bayern verbreitete sich damals frühtäuferisches Gedankengut rasch, jedoch stießen die Täufer auch dort, wie im Artikel richtig beschrieben, auf erheblichen Widerstand. Verfolgung und Vertreibung waren an der Tagesordnung. Um die frühe Täuferbewegung in Bayern richtig einzuordnen, muß man sich, anders als im Artikel „Auch in Bayern gab es Anhänger der Wiedertäufer“, mit den regionalen und zeitgenössischen Besonderheiten sowie mit den Forderungen der Täufer:innen auseinandersetzen.

Die Täuferbewegung entstand im frühen 16. Jahrhundert während der Reformation. Man darf jedoch nicht übersehen, daß auch sie nur Kinder ihrer Zeit mit allen menschlichen Schwächen waren. Ihre Anhänger:innen forderten das Unmögliche: Trennung von Kirche und Staat. Die freiwillige Mitgliedschaft in der Kirche (Glaubensfreiheit), von Gläubigen durch die Taufe von Mündigen als Bekenntnis, im Verständnis wie Jesu zu glauben und zu leben. Sie lehnten Hierarchien innerhalb der Kirche ab. Sie verweigerten das Töten und praktizierten Wehrlosigkeit. Sie verweigerten der Obrigkeit den Eid. Sie pflegten Gleichberechtigung unter den Geschlechtern, wenn auch regional unterschiedlich ausgeprägt. Diese Prinzipien brachten sie in Konflikt mit den Obrigkeitskirchen und weltlichen Obrigkeiten. Aus diesen Gründen werden sie rückblickend auch als eine frühe demokratische Bewegung beschrieben.