We shall overcome. Frieden und Abrüstung jetzt!

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„We shall overcome“ – dieser Satz ist mehr als ein Lied. Er ist eine Haltung. Entstanden in den Kämpfen schwarzer Arbeiter:innen in den USA und von der Bürgerrechtsbewegung getragen, wurde er auch in Europa zur Stimme der Hoffnung. In den 1980er Jahren sangen Hunderttausende ihn auf den Straßen von Bonn, Mutlangen und Ramstein. Sie protestierten gegen den NATO-Doppelbeschluss und die atomare Aufrüstung und setzten sich für eine Politik des Friedens ein. Das Lied gehört zum moralischen Gedächtnis der Friedensbewegung – grenzüberschreitend, sprachübergreifend. Heute ertönt es erneut – nicht als Nostalgie, sondern als Widerwort gegen Krieg, Aufrüstung und Entsolidarisierung.

We shall overcome. Joan Baez, Live In London 1965
We shall overcome. Joan Baez

Denn was gerade geschieht, ist mehr als eine gefährliche Kurskorrektur. Es ist ein offener Bruch mit dem friedenspolitischen Fundament dieser Republik. Das Grundgesetz kennt keinen Auftrag zur Kriegstüchtigkeit, sondern zur Friedensverantwortung. Artikel 26 verbietet die Vorbereitung von Angriffskriegen. In der Präambel wird der Wille zum Ausdruck gebracht, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Doch genau dieser Auftrag wird heute billigend übergangen.

Während soziale Infrastruktur ausgehöhlt wird, werden Milliarden in militärische Strukturen gelenkt. Wer abrüstet, gilt als naiv. Wer Fragen stellt, wird ausgegrenzt. Wer auf Verständigung drängt, läuft Gefahr, als „Putinversteher” diffamiert zu werden – ein Begriff, der das Nachdenken selbst zum Verdachtsfall macht. Der neue Grundton ist nicht nur martialisch, sondern auch moralisch aufgeladen. Wer für Frieden eintritt, wird nicht widerlegt, sondern delegitimiert.

Besonders erschreckend der Tonfall, in dem über Russland gesprochen wird. Eine pauschale Verachtung eines Vielvölkervolkes, seiner Kulturen und seiner Geschichte wurde durch Talkshows, Leitartikel und Regierungserklärungen salonfähig gemacht. Was als Kritik begonnen hat, ist längst zum kulturellen Ressentiment geworden. Russenhass als staatstragende Emotion, als deutsche Staatsräson. Wer bei Verstand ist, verweigert sich all dem.

Und während all dies geschieht, brennen Städte im Gazastreifen, es sterben Tausende, Zehntausende Menschen – ein Völkermord. Hunger als Waffe und ständig Angriffe. Die Bundesregierung schweigt – oder rechtfertigt. Es gibt keine Waffenruhe, keinen Stopp der Waffenlieferungen und keine wirksame diplomatische Initiative. Das Schweigen ist längst absichtliches Mitverantworten der Schuld. An ihrer Haltung ist zu erkennen, dass sie stolz darauf sind, Täter:innen zu sein.

In dieser Gemengelage klingt „We shall overcome” wie ein fernes Echo – aber es trägt. Denn es erinnert uns daran, dass Frieden kein Zustand ist, der selbstverständlich ist. Frieden ist eine Entscheidung. Gegen Hass. Gegen Ausgrenzung. Gegen Abschreckung. Und gegen die Lüge, Sicherheit sei eine Frage der Bewaffnung.

Es gibt so viele Gründe, warum

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Er ist ein Lebensentwurf – politisch, sozial und spirituell. Frieden fragt nach Gerechtigkeit, nach Teilhabe und nach einer Sprache, die nicht spaltet, sondern verbindet. In der Theologie spricht man vom Reich Gottes nicht als Ort, sondern als Bewegung: grenzüberschreitend, inklusiv und menschenfreundlich. Da hat Nationalismus keinen Platz, da werden Grenzen nicht verteidigt, sondern überwunden.

„We shall overcome“ – „Wir werden überwinden“. Dieses „Wir“ meint keine geschlossene Gruppe. Es meint diejenigen, die hoffen, wo andere zynisch geworden sind. Die, die sich nicht mit Sicherheitsversprechen abspeisen lassen, die auf Angst basieren. Die, die der Versuchung widerstehen, Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten.

Wir überwinden nicht in einem heroischen Akt, sondern im gemeinsamen Ausharren. In der kleinen Geste. Im Nein zur Aufrüstung. Im Ja zur Menschlichkeit. Im Bekenntnis für Gewaltfreiheit.
Schon heute, mitten in einer Welt, die anderes predigt. Und doch gilt: Deep in my heart, I do believe – we shall overcome.