Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerung · 15. Mai 2025
Erstellt am:

Gedankenschnipsel zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung
Das Evangelium beginnt mit Gewaltfreiheit. Auch als Jesus von Nazareth in Gethsemane einem Tempelpolizisten gegenüber steht und sich an den bewaffneten Petrus – einen jüdischen Weggefährten – wendet und unter den Augen der römischen Besatzungsmacht aufklärt: »Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen« (Mt 26,52). In jener vom Römischen Imperium dominierten Welt erklärt ein innerjüdischer Erneuerer, daß gelebte Gottesbeziehung und Töten unvereinbar sind. Wenige Jahrzehnte später resümiert Tertullian, Christus habe, indem er Petrus entwaffnete, alle Soldaten entwaffnet.
Der Humanist Erasmus von Rotterdam greift diesen Faden 1517 in seiner Querela Pacis auf und fordert alle Christen auf, sich zusammenzuschließen, um den Krieg öffentlich zu brandmarken. Auch die frühe Täuferbewegung des 16. Jahrhunderts greift Jesu Gewaltfreiheit in der Erneuerung des Glaubens auf. Das Schleitheimer Bekenntnis von 1527 beschreibt die Gläubigen als gegürtet mit Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede, Glaube, Heil und dem Wort Gottes; Menno Simons nennt die Gemeinde „Kinder des Friedens“, deren Schwerter längst zu Pflugscharen geworden sind.
Die Linie führt in unsere Zeit. Die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen erklärt 1948 in Amsterdam: »Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein«. Im Jahr 2006 bekräftigt die Mennonitische Weltkonferenz, der Geist Jesu befähige zu einem Leben ohne Gewalt, Feind:innen zu lieben, Gewalt abzulehnen und Gerechtigkeit zu suchen die solidarisches Teilen einschließt. Martin Luther King Jr. verdichtet dieselbe Einsicht mit den Worten, die Wahl sei nicht zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit, sondern zwischen Gewaltlosigkeit und Nicht-Existenz. Und aktuell ruft der Christlicher Friedensruf von Hannover zur Friedensfähigkeit auf.
Wer das Doppelgebot der Liebe ernst nimmt, gefährdet kein Leben. Die Feindesliebe Jesu macht sogar Angreifer:innen zu Nächsten, deren Würde unantastbar bleibt. Das zeigt er selbst mit Gewaltfreiheit in größter Not. Militärischer Gehorsam unterwirft das Gewissen fremden Befehlen und durchtrennt die ausschließliche Bindung an Gott. Wann immer Christ:innen glaubwürdig waren, nahmen sie das Schwert gar nicht erst in die Hand.
Auch heute setzen Menschen diesen Weg fort. In Südkorea nehmen Zeuginnen Jehovas selbst den zivilen Ersatzdienst nicht an, weil er militärisch organisiert ist; manche verbringen dafür Jahre im Gefängnis. In Kolumbien entstand 2024 ein sozialer Friedensdienst, der Konflikttransformation, Care-Arbeit und Versöhnung miteinander verbindet und so eine echte Alternative zum Militärdienst darstellt. In Rußland und der Ukraine ringen Christ:innen vor Gerichten um die Anerkennung ihres Gewissensrechts, oft unter Androhung von Haft; dennoch wächst die Hoffnung, daß das Gewissen über den Befehl stellt.
Kirchliche Gemeinschaften stehen nur in der Nachfolge Jesu, wenn sie gewaltfrei sind; sie sind aufgerufen, Kriegsdienstverweigernde geistlich zu begleiten, rechtlich zu beraten und zu unterstützen. Friedensethik muß in der Verkündigung und in der theologischen Ausbildung fest verankert sein, damit künftige Generationen frühzeitig lernen, warum Nachfolge und Waffendienst unvereinbar sind.
Staaten sind verpflichtet, das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung vorbehaltlos anzuerkennen. Jede Gewissensprüfung greift frontal in die Menschenwürde ein. Das Feiern von Veteran:innen und Wehrdienstleistenden, erst recht mit einem Veteranentag, mißachtet Grundrechte und widerspricht den Prinzipien eines Rechtsstaates, der auf eben diesen Rechten gründet. Stichwort Doppelmoral. Verantwortungsvoll handelnde Regierungen lenken ihre Mittel in internationale Programme für Mediation, Wiederaufbau und Traumabewältigung – Felder, in denen Mut, Empathie und fachliche Kompetenz wirksam werden, nicht Waffen.
Schulen und Universitäten tragen dazu bei, indem sie Friedensstudien, Konflikttransformation und gewaltfreie Kommunikation in ihre Curricula aufnehmen.
Das Wort Jesu in Gethsemane entwaffnet nicht nur einen Jünger, sondern eröffnet eine Lebensweise, welche das Zusammenleben erneuert, das Gewissen befreit und jede Form tötender Gewalt ablehnt. Von den ersten Gemeinden über Erasmus, den frühen Täufer:innen, die Amsterdamer Erklärung von 1948 bis zu den heutigen Kriegsdienstverweigerern zieht sich eine durchgehende Linie: Militärdienst ist mit dem auf dem Weg sein mit Jesu unvereinbar. Der Internationale Tag der Kriegsdienstverweigerung erinnert daran, daß jedes entschiedene Nein zur Waffe ein Ja zum Leben, zur Nächstenliebe, zu einer glaubwürdigen Kirche und zu einer menschlichen Gemeinschaft ist, in der alle Menschen – unabhängig von Religion, Herkunft oder Weltanschauung – Friedensstifter:innen sein können. Wer die Waffen niederlegt oder erst gar nicht in die Hände nimmt, gewinnt freie Hände, um Wunden zu verbinden, Felder zu bestellen und Mauern des Mißtrauens einzureißen – so werden aus Werkzeugen der Zerstörung Werkzeuge des Friedens.
15. Mai, Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerung
Hinweis zur einer europaweiten Initiative zum Tag der Kriegsdienstverweigerung
Anlässlich des 15. Mai, dem Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung, haben mehrere Organisationen zusammen eine europaweite Social-Media-Initiative gestartet. Sie fordern Schutz für all jene, die sich dem Krieg und dem Töten verweigern – und dafür verfolgt werden:
„Wir fordern Europa auf, dieses Menschenrecht in vollem Umfang umzusetzen und diejenigen zu schützen, die den Militärdienst in ihren eigenen Ländern verweigern und aufgrund von Verfolgung Schutz in europäischen Ländern suchen.“
Weitere Informationen sowie die ausführliche Erklärung in Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Französisch finden sich auf connection-ev.org als PDF-Download.
Nora sagt:
Es gibt Überzeugungen, die wachsen nicht aus dem, was man gesagt bekommt – sondern aus dem, was sich nicht mehr leugnen lässt. Sie entstehen dort, wo die Sprache versagt, weil das Leid jede Rechtfertigung entlarvt. Wo kein Gedicht, kein Bild, kein Lied mehr trösten kann – weil Bomben gesprochen haben. Dort, wo Gewalt herrschte, bleibt ein stilles, radikales Nein . Wer dieses Nein in sich trägt, ist kein Idealist, sondern ein Mensch, der weiß, was auf dem Spiel steht.
Kriegsdienstverweigerung ist nicht nur ein Recht. Sie ist Pflicht – gegenüber der Geschichte, gegenüber der Menschheit. Sie ist das letzte Bollwerk gegen das Vergessen. Denn wer heute bereit ist zu kämpfen, hat entweder nichts verstanden oder zu viel verdrängt. Wer im 21. Jahrhundert immer noch glaubt, ein Gewehr könne ein Argument ersetzen, hat die Leichenberge des 20. Jahrhunderts verdrängt. Noch abgründiger ist, wer sie gesehen, gerochen und gezählt hat und aus jedem Leichnam nur den Schluß zieht, daß Gewalt sich rechnet. Aus dieser Verrohung heraus finanzieren westliche Politiker:innen wohl den Völkermord in Gaza: durch Waffenlieferungen, politische Rückendeckung und ein Schweigen, das die fortgesetzte Vernichtung von Menschen und ziviler Infrastruktur billig in Kauf nimmt. Dieselbe Kälte treibt ihr Kriegstüchtigwerden voran, schürt ihre Kriegshetze gegen Russland und hält den Waffengang in der Ukraine künstlich am Leben. Wer in diesen Konflikten Profite, Einflusssphären oder geopolitische Punkte zählt, schreibt die Barbarei vergangener Generationen in die Gegenwart fort.
Jede Demokratie, die auf Gewalt setzt, widerspricht sich selbst. Die Idee der gleichen Freiheit für alle, die Unantastbarkeit der Menschenwürde, der Glaube an das Gespräch, den Dialog – all das endet dort, wo der erste Schuss fällt. Eine Gesellschaft, die ihre Konflikte mit Waffen austrägt oder diese auch nur als Drohkulisse duldet, hat sich von ihrer Verfassung verabschiedet – nicht auf dem Papier, aber im Geiste.
Wer heute Kriegsdienst verweigert, verweigert sich der Lüge vom „gerechten Krieg“, verweigert sich der Erzählung von notwendigen Härte. Er oder sie tritt nicht zurück, sondern hervor. Nicht gegen die Gemeinschaft, sondern in ihrem Namen. Denn eine gerechte Gesellschaft beginnt dort, wo niemand mehr gezwungen wird, zum Mörder zu werden.
Man hat versucht, das Töten zu rechtfertigen: mit Vaterland, mit Ordnung, mit Schutz. Aber das Ergebnis ist immer dasselbe: Zerstörung, Verrohung, Schuld. Der Mensch, der Gewalt übt, ist nie wieder derselbe wie zuvor. Die Gesellschaft auch nicht. Es braucht kein Manifest mehr, kein großes Pathos – nur die stille Erkenntnis: Nur wer sich der Gewalt verweigert, bleibt bei sich.
Echte Demokrat:innen sind keine Soldaten. Sie sind Menschen, die sich der Versuchung widerstehen, über Leben und Tod zu entscheiden. Sie verweigern den Wehrdienst, den Kriegsdienst, den Befehl zur Gewalt – nicht aus Feigheit, sondern aus Gewissensgründen. Sie wissen, dass wahre Stärke dort beginnt, wo man sich dem Hass verweigert. Und dass die einzige Waffe, die in einer Demokratie Bestand haben kann, das Wort ist.
Wer den Dienst an der Waffe verweigert, handelt. Wer Nein sagt zum Töten, schützt die Zukunft. Und wer die Waffen niederlegt, bewahrt Menschenleben. Darum bleibt Wolfgang Borcherts Aufruf aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aktuell: „Dann gibt es nur eins: Sagt NEIN!“ – zu Krieg, Kriegstauglichkeit und Wehrdienst/Kriegsdienst. Damals wie heute.
Kriegsdienstverweigerin und Kriegsdienstverweigerer, Wehrdienstverweigerung oder Militärverweigerung